Seit vielen Jahrzehnten führe ich vor allem im Naturraum Marburg-Gießener Lahntal planmäßige Zugvogelerfassungen durch. Dabei werden im Frühjahr mindestens 200 Stunden, im Herbst etwa 300 bis 350 Stunden aufgewendet. An Massenzugtagen (mehr als 10.000 Vögel/h) wurden zudem Ganztageszählungen der Zugvögel durchgeführt. Zur Erfassung von Zugvögeln ist es wichtig, an einem erhöhten Punkt mit sehr guter Rundumsicht zu stehen. Dabei werden alle ankommenden Einzelvögel oder Trupps entweder exakt ausgezählt oder geschätzt. Das Schätzen von dicht ziehenden Vogelschwärmen erfordert aber eine große Erfahrung, sodass die Schätzwerte im Laufe der Zeit immer genauer werden. Manche Trupps werden auch fotografiert und anschließend exakt ausgezählt. Alle Zahlen werden in Feldprotokolle eingetragen, wobei am Ende jeder zeitlich fixierten Zählperiode die Summe der durchziehenden Individuen pro Art sowie die Anzahl der Nachweise ermittelt wird. Datum, Uhrzeit, Wetterverhältnisse, Beobachtungsorte und Beobachter werden ebenfalls immer in die Feldprotokolle eingetragen.
In der Regel werden die herbstlichen Zugvogelerfassungen bereits Anfang Mitte/Juli begonnen, denn dann ziehen schon einige Watvögel und vor allem die erste Brut der Rauchschwalben nach Südwesten ab. Um den Singvogelzug zu sehen, ist es gut, schon kurz vor Sonnengang auf einem Berg mit guter Rundumsicht zu stehen. Wichtig ist aber auch, dass man am Abend vorher die Wettervorhersage genau verfolgt, denn es gibt Wetterlagen, welche die Vögel zu sehr niedriger Flughöhe zwingen (bodennaher Breitfrontzug). Das ist bei recht starken Gegenwinden der Fall, kommt aber wesentlich häufiger im Herbst als im Frühjahr vor. Dann nutzt einem ein hoher Standort gar nichts, denn die Vögel werden in den Tälern nicht mehr wahrgenommen. Ideal sind Wetterlagen mit geringen Luftdruckgegensätzen, beispielsweise bei bedecktem Himmel, aber mit sichtbaren blauen Lücken, milden Temperaturen, leichten Gegen- oder Rückenwinden oder Windstille. Bei leichten Rückenwinden oder Windstille ziehen die Vögel aber sehr hoch, nicht selten in 3 bis 8 vertikalen Schichten. An solchen Tagen kann es sein, dass nicht nur viele Arten, sondern auch sehr viele Individuen ziehen. Dann muss man eine große Erfahrung im Schätzen haben, um noch verwertbare Ergebnisse zu erzielen.
Wir unterscheiden die oft in großen Schwärmen auftretenden Aufwindsegler wie Störche und Greifvögel, Formationsflieger wie Schwäne, Gänse, Enten, Kormorane, Reiher, Sichler, Löffler, Pelikane, Kraniche, Möwen, Seeschwalben und Watvögel sowie in Wellen oder geradlinig fliegende Singvögel. Den typischen Wellenflug zeigen aber beispielsweise auch die Spechte (außer dem Schwarzspecht). Manche „Wellenflieger“ zeigen kurze und zuckende Sprünge (Hausrotschwanz, Steinschmätzer, Wiesen- und Bergpieper, Rohrammer), andere etwas größere Sprünge mit ziemlich gleich bleibendem Individualabstand (z.B. Baum- und Brachpieper und Buchfinken), aber es gibt auch Vögel, die recht große Sprünge zeigen (z.B. Buntspecht, Raubwürger, Bach- und Gebirgsstelze). Dazu Vögel, die in sehr großen Trupps ziehen können, wie zum Beispiel Feldlerchen, Drosseln, Stare und Finken.
Für mich ist der Vogelzug im Herbst und im Frühjahr das Schönste, was man in der Ornithologie erleben kann. Die geographische Lage und Topographie des Marburger Lahntals mit seinen Seitenverbindungen zum Wetschaftstal, zum riesigen Ohmbecken und zum Zester-Ohmtal, führen zu einer besonderen Verdichtung des Vogelzuges im Binnenland. In manchen Herbstzugperioden haben wir schon über eine Million Zugvögel während des sichtbaren Tageszuges erfasst. Höhepunkt sind die riesigen Formationen der Kraniche, die zumeist bei klarem Wetter und Rückenwind in schier unendlichen Massen unseren Raum überfliegen. Zum Kennenlernen der verschiedenen Zugvögel biete ich auch regelmäßig Kurse an. Rufen Sie mich einfach an oder schreiben sie mir: kraftm@staff.uni-marburg.de, 0171 – 6956326. Ich führe sie gerne!